Die Fragen stellte Gunther Schilling.
Auf dem Weg zur intelligenten Stadt gehen viele Kommunen durch lange Strategiephasen, in denen individuelle Projekte mit Beteiligung der Bürger entwickelt werden. Prof. Dr. Dr. e.h. Lutz Heu- ser, CEO des [ui!] Urban Software Institute, plädiert im Gespräch mit #stadtvonmorgen für einen Roll- out bewährter Blaupausen auf der Grundlage geeigneter Daten.
Wir sind unzufrieden mit der geringen Geschwindigkeit beim Thema Smart City. Es gibt das Förderprogramm „Modellprojekte Smart Cities“, das das Innenministerium aufgelegt hat und das jetzt ins Bauministerium gewandert ist. Doch welche der Kommunen, die 2019 ausgewählt wurden, steht denn jetzt nach drei Jahren da und hat ihre Ziele erreicht? Ich kenne keine einzige. Die, mit denen ich spreche, sind frustriert ob der Langsamkeit und der Komplexität. Uns fehlen nennenswerte Blaupausen, die wir übernehmen und in anderen Kommunen skalieren könnten. Das war für uns der Anlass, den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung anzuschauen. Und wir haben ernüchtert festgestellt: Darin wird zwar von Digitalisierung gesprochen, aber die Ausgestaltung bleibt weiterhin auf zahlreiche Ressorts verteilt. Wir haben im Rahmen des Smart-City-Forums ein Positionspapier zur Digitalpolitik der Bundesregierung erarbeitet und verabschiedet. Darin haben wir Vorschläge gemacht, wie man nicht nur 70 bis 100 Kommunen, die jetzt durch das BMI gefördert werden, smarter macht, sondern die ersten 1.000, damit die nächsten 5.000 folgen können.
Das Problem ist, dass auf kommunaler Ebene heute vielfach Strategie und Beteiligung verwechselt werden. Selbstverständlich ist es gut und richtig die Stadtgesellschaft umfassend in die Gestaltung der digitalen Zukunft einzubinden, um möglichst viele Menschen für eine aktive Mitgestaltung zu gewinnen. Für digitale Strategien gibt es jedoch klare Anforderungen und bewährte Vorgehensweisen, die viel mit dem konkreten technischen Gegenstand digitaler Transformation zu tun haben. Hier sehe ich vor allem die aktuellen Defizite. Hat der Kämmerer, hat die Verwaltung Spielraum, auf diese Belange der Gesellschaft, der Einwohner und Einwohnerinnen, der Bürgerinnen und Bürger einzugehen? Wenn sie den nicht hat, dann wird irgendwas gemacht, auch aus gutem Willen heraus, das nicht zur Umsetzung kommt..
Wenn die Verwaltung einen Haushalt auf viele Jahre vorausplant, hat er eine bestimmte Struktur. Dann kann man die Prioritäten nicht jedes Jahr ändern, wenn eine Bürgerbeteiligung andere Schwerpunkte setzt. Aber davon unabhängig stellt sich für mich die Frage: Muss jeder von null an eine Strategie entwickeln? Wir wissen heute ganz genau, welche Anwendungsfälle einen unmittelbaren Nutzen stiften. Zum Beispiel haben wir das in Bad Hersfeld gesehen: Modernisiert die Kommune die Straßenbeleuchtung (einer der Kern-Use Cases von Smart City), dann spart sie einen exakt feststellbaren Geldbetrag ein, trägt nachdrücklich zur Energieeffizienz und zum Klima- sowie zum Artenschutz bei. Aktuelle Berichte zeigen, dass immer mehr Kommunen umgehend Einsparungen bei dem Energieverbrauch der Straßenbeleuchtung vornehmen wollen bzw. müssen. Wir sind nicht mehr an dem Punkt, wo jeder experimentell ausprobieren muss. Die Experimente haben stattgefunden. Es gibt ganz viele Blaupausen. Ich bin der Meinung: Lasst uns ein Rollout machen. Lasst uns dafür sorgen, dass diese Themen nicht mehr ganz neu angedacht werden müssen.
Wir sind in beiden Städten aktiv. Was in beiden Fällen noch fehlt, ist die Erkenntnis, dass Smart City mehr ist als die Summe optimierter Use Cases. Wir müssen endlich die Daten in den Mittelpunkt rücken. Und uns die Frage stellen, wie können wir die Ressource Daten mindestens genauso effizient bewirtschaften wie Strom, Gas, Wasser oder auch Finanzen. Erst dann werden wir erkennen, dass die smarte Stadt vor allem eine ressourcenoptimierte Stadt sein wird. Aber diese Sichtweise passt derzeit nur begrenzt in das Denken nach Ressorts und Zuständigkeiten oder auch einzelnen Verkehrsträgern. Die Entscheidungsgrundlagen, die gewählt werden, sind entweder historisch erhobene Daten oder Daten eines Ingenieurbüros, das mal anekdotisch zu einem gewissen Zeitpunkt irgendwelche Messungen vorgenommen hat. Das reicht aber nicht. Es fehlt die geeignete Evidenz auf Basis urbaner Mobilitätsdaten. Wir verfügen zum Beispiel über Daten von 500.000 mobilen Endgeräten, tagtäglich aus der gesamten Bundesrepublik. Es gibt sicherlich weitere solche Datenquellen, die Kommunen nutzen können. Nur den Zugang haben sich die Kommunen selbst immer noch nicht erschlossen. Die Städte kämen viel schneller voran, wenn sie sich erstmal damit beschäftigen würden, wie sie an die geeigneten Daten kommen, auf deren Basis sie eine andere Evidenzbildung betreiben können.
Nehmen wir das Beispiel Pendlermobilität. Eine Studie für den Rhein-Neckar-Kreis zeigt: drei Viertel aller Pendlerverkehre im Raum Wiesloch-Walldorf sind motorisierter Individualverkehr (MIV). Nur 11 Prozent macht der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) aus, der Rest entfällt auf Fahrrad- und Fußverkehr. Wenn es jetzt gelingen sollte, den Anteil des ÖPNV zu verdoppeln, dann hätten wir 22 Prozent ÖPNV. Wenn auch noch der Fahrradverkehr verdoppelt würde, kämen noch einmal 10 Prozent dazu. Bleiben immer noch über 60 Prozent MIV. Und wenn wir jetzt ein Mobilitätsforum veranstalten, bei dem wir uns nur Gedanken über den ÖPNV machen und keine über den Rest, denken wir wieder komplett am Bedarf der Gesellschaft vorbei. An dieser Stelle brauchen wir einfach eine viel bessere Evidenzlage, indem wir uns viel mehr mit den Daten beschäftigen, bevor wir in eine Bürgerbeteiligung hineingehen. Auf Grundlage ausreichender Daten kann ich als Verwaltung auch Auskunft geben und steuern. Ich kann dann sagen: Das ist ja eine nette Idee, die Sie da haben, mehr Fahrräder an den Bahnhof zu stellen, damit man besser zur Arbeitsstätte kommt. Das löst dann diesen kleinen Teil des Gesamtproblems. Aber was machen wir mit dem anderen Teil? Man muss viel stärker betonen, wie wichtig die Datenlage für die Kommunen ist, um überhaupt ein reales Lagebild der Kommune zu haben.
Wir haben ganz klare Rechtsgrundlagen, etwa die Datenschutz-Grundverordnung. Die gilt es unter allen Umständen zu beachten. Der aktuelle Stand unserer Untersuchungen zeigt, dass die Daten, die wir im Moment verarbeiten, nicht rückverfolgbar sind, so dass wir von unserer Seite aus insofern Entwarnung geben können. Die EU hat bei dem Projekt Gaia X und die Bundesregierung beim Datenraum Mobilität bzw. dem Mobility-Data-Space viel Wert darauf gelegt, sichere Datenräume für digitale Anwendungen zu schaffen – wobei nicht der Eindruck erweckt werden darf, dass es vorher unsicher war. Hier wird noch viel in Richtung Datensouveränität passieren.
Quelle: www.stadtvonmorgen.de, Gunther Schilling
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