Jürgen Mück: Die Stadt der Zukunft
Produktmanager Jürgen Mück erläutert in einem Interview des WirtschaftsEcho seine Auffassung bezüglich innovativer Technologien im Rahmen der Verkehrskonzepte von intelligenten Städten.
» DARMSTADT. Der Verkehr fließt reibungslos, die Luft ist sauber und wer einen Parkplatz braucht, der findet einen.
Was für uns heute eine Wunschvorstellung ist, könnte morgen Realität werden. Tatsächlich beschäftigen sich eine Reihe von Verkehrsexperten mit Zukunftsszenarien, die unsere Städte lebenswerter machen sollen. Einer davon ist Jürgen Mück. Als Product Manager und Senior Resear- cher bei der Urban Software Institute GmbH arbeitet er mit Kollegen an Konzepten für die Zukunft der Mobilität in der Stadt, die durch die Vernetzung und Digitalisierung möglich werden.
Herr Mück, wie sieht für Sie der Verkehr in der idealen Stadt aus?
Dafür müssen bestimmte Eigenschaften erfüllt sein. Der Verkehr muss die Mobilitätsanforderungen der Bürger und der Wirtschaft erfüllen, er darf aber dem Lebenswert, der Wohnqualität und der Umwelt nicht mehr als nötig schaden. Er muss auch für schwache und ungeschützte Verkehrsteilnehmer sicher sein. Günstig ist, wenn viele Wege kurz sind. Es gibt auch einen sozialen Aspekt: Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich zu akzeptablen Kosten in der Stadt zu bewegen oder bei Bedarf Unterstützung erhalten, zum Beispiel durch Mobilitätslotsen im öffentlichen Verkehr.
Das wäre schön. Kann man das denn hinbekommen?
Kurzfristig ist es wichtig, den Verkehr durch Optimierung flüssiger zu gestalten und bereits dadurch negative Umweltwirkungen zu reduzieren. Die Buzz Words heißen Smart City und Digitalisierung: Durch die Bereitstellung von Informationen - seien es Fahrpläne oder Verspätungen im Nahverkehr, Staus auf viel befahrenen Strecken,Infos zu Parkplätzen – bis hin zur Vernetzung von Kraftfahrzeugen und Ampeln kann noch viel für die Umwelt getan werden. Mittelfristig werden Car-, Bike- oder E-Bike-Sharing eine viel größere Rolle spielen. In München gibt es zum Beispiel mittlerweile 115 Car-Sharing-Stationen. Sie können die Attraktivität fürs Radfahren erhöhen, indem Sie mehr Radwege oder -streifen schaffen, Einbahnstraßen öffnen, sodass Sie für den Radverkehr irgendwann sogar Autospuren umwandeln müssen. Es gibt Vorbilder: In Kopenhagen sind zum Beispiel mehr als 50 Prozent der Pendler mit dem Rad in der Stadt unterwegs, so ähnlich ist es in Oslo oder Stockholm. Hier steigt man auch im Anzug aufs Rad – in Deutschland haben wir da noch ein Imageproblem, außer vielleicht in Münster oder Freiburg. Und langfristig kann die bewusste Gestaltung von neuen Quartieren sehr viel bewirken. Etwa, wenn Konversionsflächen umgewandelt werden, wie etwa in der Lincolnsiedlung in Darmstadt. Viele Städte setzen für solche Projekte inzwischen auf eine sehr aktive Bürgerbeteiligung.
Viele Innenstädte sind verstopft. Gibt es irgendein Mittel, um dem Stau Herr zu werden?
Naheliegend ist die Optimierung des Verkehrsflusses über die Ampelanlagen, zum Beispiel durch flexiblere Grünzeiten oder durch angepasste Grüne Wellen. Hier sind einer Stadt aber durch die vielfältigen Zielkonflikte an den Kreuzungen Grenzen gesetzt. Ein weiterer Schritt sind Informationen für den Autofahrer über Stau oder freie Parkplätze – der Parkplatz-Suchverkehr kann zu bestimmten Zeiten bis zu 30 Prozent des Verkehrs in einer Stadt ausmachen – oder zukünftig Geschwindigkeitsempfehlungen über Apps und Assistenzsysteme bei der Fahrt durch grüne Wellen. Stau lässt sich dadurch natürlich nicht vollständig vermeiden. Dabei ist nämlich ein Punkt wichtig: Viele Leute, die im Stau stehen, wissen das und entscheiden sich trotzdem dafür, mit dem Auto zu fahren. Wenn man den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbietet, entscheiden sich vielleicht ein paar dafür,mit dem Bus zu fahren, und es gibt weniger Stau. Daraufhin beschließen sicher andere, mit dem Auto zu fahren. Das Zusammenwirken der Faktoren ist also sehr komplex. Stadtplanern, die sich mit Mobilitätskonzepten der Zukunft beschäftigen, ist klar, dass eine stadtgerechte Mobilität mittelfristig nur erreicht werden kann, wenn der private Kraftfahrzeugverkehr – auch mit Elektroautos – ein Stück weit durch stadtgerechtere Verkehrsmittel und Konzepte ersetzt wird.
Viele Pendler stehen ja schon auf der Autobahn. Welche Lösungsmöglichkei- ten gibt es hier?
Wichtig ist ein gutes Baustellenmanagement, dass möglichst nur in verkehrsarmen Zeiten gebaut wird. Unfallstellen sollten schnell geräumt und bei hohen Auslastungen der Seitenstreifen freigegeben werden. Das wird in Hessen schon umgesetzt. Wenn wir in Zukunft mit selbstfahrenden Autos unterwegs sind, gibt es noch viel mehr Möglichkeiten: Fahrzeuge fahren automatisiert dichter zusammen, im Pulk, in Kolonnen. Das ist definitiv ein Zukunftsthema und wird von Hessen Mobil, der Landesbehörde für den Verkehr in Hessen, in Forschungsprojekten aktiv vorangetrieben.
In vielen Innenstädten ist die Parkplatzsu che ein Problem. Parkhäuser sind oft teuer. Wie sieht hier das Konzept der Zukunft aus?
Inzwischen werden mehr und mehr kostenlose und kostenpflichtige Dienste angeboten, um freie Parkplätze zu finden, zum Beispiel vom ADAC, oder inzwischen auch Services in Premiumfahrzeugen. Es gibt Anbieter, die an der Erweiterung solcher Apps durch eine Reservierungsfunktion arbeiten oder das in die Navigation integrieren. Informationen über freie Parkplätze können inzwischen auch über Sensoren an Straßenlaternen erfasst werden. In ferner Zukunft werden Sie mit Ihrem Auto gar nicht mehr selbst in das Parkhaus fahren müssen. Beim „autonomen Valet-Parken“ geben Sie Ihrem selbstfahrenden Auto den Befehl, sich auf einem Parkplatz abzustellen. Wenn Sie es wieder brauchen, rufen Sie es herbei. Dazu benötigt es natürlich geeignete Parkflächen mit geeigneten Betreibern.
Wir haben jetzt viel von der Smart City gesprochen. Welche Chancen bieten sich denn auf dem Land?
Auf dem Land ist das Auto wichtiger als in der Stadt. Ein öffentlicher Nahverkehr mit einer Qualität wie in größeren Städten kann hier nicht bereitgestellt werden. Auch hier spricht man von der Digitalisierung bis hin zur Mobilität 4.0 – aber mit ganz anderen Konzepten, zum Beispiel schon jetzt über Anforderung von Bussen. In ferner Zukunft werden fahrerlose, automatisch fahrende Busse vermutlich eine wichtige Rolle spielen. Es kann aber schon jetzt – ganz pragmatisch – beobachtet werden, dass das Car-Sharing aus den größeren Städten seinen Weg auch in kleine Gemeinden findet, sodass ein eigenes Auto nicht mehr immer ein Muss ist.
Offenbar ist hier viel technisches Know-how gefragt. Muss man sich den Umgang mit Apps und Co. zwingend aneignen, um in Zukunft am Leben teilhaben zu können?
Den meisten von uns ist der Umgang mit einem Smartphone inzwischen vertraut. Vieles ist inzwischen für viele selbstverständlich und sehr bequem – ein Beispiel unter sehr vielen ist die Buchung von Bahnfahrten über eine App. Nicht umsonst haben Smartphones innerhalb von zehn Jahren die klassischen Handys abgelöst. Wichtige Dienste, zum Beispiel Car-Sharing, sollten allerdings auch zukünftig telefonisch buchbar sein. Und Apps sollten natürlich so gestaltet sein, dass man sie leicht und fehlerfrei bedienen kann.
Beim Stichwort Verkehr fällt den Menschen vieles ein, was andere tun könnten oder müssten. Gibt es etwas, das jeder Einzelne beitragen kann?
Spontan fallen mir zwei Sachen ein: Erstens einfach mal ausgefahrene Wege verlassen. Zum Beispiel ein ande- res Verkehrsmittel ausprobieren – ge- nauso, wie man mit dem Auto mal eine neue Strecke ausprobiert. Zweitens gibt es vielerorts die Möglichkeit, sich als Bürger in einer Stadt zu engagieren und einzubringen, wie es in Darmstadt beim Bürgerforum 2030+ möglich ist. Viele Städte beziehen inzwischen ihre Bürger bei diesen Themen aktiv mit ein, in Wiesbaden etwa bei der Ausgestaltung des Verkehrsentwicklungsplans oder in Mainz in Verbindung mit dem Master- plan Green City.
Das Interview führte Anja Ingelmann. | Foto: Torsten Boor | Quelle: Wirtschaftsecho vom Juni 2018